Ich bilde meine Angehörigen zu Hinterbliebenen aus!
Harald Alexander Korp über Humor im Hospiz
Darf angesichts des Todes gelacht werden? Harald Alexander Korp, der diese Frage erörtert, ist Jahrgang 1961, Autor, Humor-Coach, Mitglied in Humor-Care, ehrenamtlicher Hospizmitarbeiter und lebt in Berlin. Er ist so etwas wie ein universaler Künstler, gibt Klavierkonzerte und außergewöhnliche Performances, die auch die Bewohner und Mitarbeiter im Berliner Ricam-Hospiz zu schätzen wissen. Es hat viel publiziert, darunter auch Theaterstücke, Dokumentarfilme, Bücher, Artikel. Die Wirkung von Humor in der Nähe des Todes beschreibt der Autor in seinem Artikel aus unterschiedlichen Blickwinkeln und erzählt uns von seinen Erfahrungen. H.K. Korp betreut bei Elysium.digital das Ressort „Humor und Sterben“.
„Ich bilde meine Angehörigen zu Hinterbliebenen aus!“
Humor im Hospiz
von Harald Alexander Korp
Auch wenn die meisten Bewohner das Hospiz mit den Füßen voran verlassen, geben sie ihren Humor beim Betreten nicht an der Tür ab. Doch wie und worüber wird gelacht und was lässt sich daraus lernen?
„Lachen ist wie der Schaum auf dem Meer. In dem Moment, in dem wir nach ihm greifen wollen, ist er verflogen“, schrieb der französische Philosoph Henri Bergson, der dem Lachen ein ganzes Buch widmete. Auch wenn die moderne Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, den Affekt gründlich erforscht, so bleibt dieser ein geheimnisvolles Phänomen. Von den durchschnittlich zwanzig Lachern eines Erwachsenen am Tag werden nur etwa vier als Reaktion auf eine komische Situation gewertet. Die anderen sechzehn signalisieren Freude über eine Begegnung, Freundlichkeit, Verlegenheit oder sogar Abwehr. In den meisten Situationen geht es aber um ein Zusammengehörigkeitsgefühl, denn gemeinsames Lachen verbindet.
Wie wird nun angesichts des Todes gelacht? Als Hospizhelfer im Ricam Hospiz, dem ersten stationären Hospiz in Berlin, begegnete ich einer Bewohnerin, Mitte vierzig, die an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt war und ihr Zimmer mit farbenfrohen Blumen und Plüschtieren ausgestattet hatte. Wer sie besuchte, dem erzählte sie voller Begeisterung einen neuen, heute nicht mehr ganz aktuellen Witz: „Der Tod klopft bei Johannes Heesters und seiner Ehefrau Simone an. Heesters öffnet, blickt den Tod an und ruft: Schatz, für dich!“ Sie konnte so laut darüber lachen, dass es im Nebenzimmer und im gemeinschaftlichen Speiseraum zu hören war. Auf meine Frage, wie sie es schaffe, in ihrer bedrückenden Situation so herzhaft zu lachen, antwortete sie: „Klar, ich habe einen Hirntumor. Aber ich kann ja deshalb nicht nur weinen. Ich will auch mal lachen!“ Auch wenn es nur für Sekunden war, so entwickelte sie aus dem Erzählen dieses Witzes eine Kraft, die über Stunden wirkte. Und dann weinte und schrie sie wieder vor Schmerz. Freude und Lachen, Trauer und Schmerz wechselten sich ab. Ihre Emotionen waren im Fluss. Dies half ihr, die Situation zu bewältigen. Und auch bei ihrer Beerdigung wurde, wie sie es sich wünschte, nicht nur geweint.
Die Hospizmitarbeiter kultivieren ebenfalls gerne das gemeinsame Lachen. Eine Krankenpflegerin fiel mir durch ihre mitfühlende Art und eine fast ausnahmslos freudige Stimmung auf. „Ich versuche, den inneren Clown, das Spielerische, in mir zu finden. Das hilft, den Humor zu bewahren“, antwortet sie, als ich sie nach dem ‚Rezept‘ fragte. „Zum Beispiel wenn ein Patient wütend wird, weil ich nicht schnell genug zu ihm kommen kann, gebe ich ihm Recht und antworte: ‘Jawoll, so ein Sauladen hier!‘ Das verblüfft den Patienten und sorgt für Entspannung, oftmals sogar für ein herzhaftes Lachen.“
Hospiz
In einer Gesellschaft, in der Sterben und Tod gerne verdrängt werden, scheint Lachen in diesem Kontext besonders unangemessen zu sein. Die Endlichkeit des Lebens wird in erster Linie als vage Bedrohung wahrgenommen, ohne dass darüber näher gesprochen wird. Die Wahrscheinlichkeit im Lotto sechs Richtige mit Zusatzzahl zu treffen, beträgt etwa 1: 120.000.000, die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken 1:3, daran zu sterben 1:4. Trotzdem sind nicht wenige der Auffassung, sie hätten realistische Chancen, im Lotto zu gewinnen, aber eine Krebskrankheit, das wäre extrem unwahrscheinlich. Darüber hinaus bringe es Unglück, sich mit Sterben und Tod zu beschäftigen, so scheinen einige unausgesprochen zu glauben. Doch es hat ein Wandel dieser Sichtweise eingesetzt – nicht zuletzt durch die Hospizbewegung. Hospize wollen das Sterben wieder in das Leben integrieren. Den Kranken und ihren Angehörigen soll ein Stück Normalität zurückgegeben werden, die im Krankenhaus oder auch zuhause oft nicht mehr zu möglich ist. Und zu dieser Normalität gehören neben der Trauer und dem Weinen auch die Freude und das Lachen.
Laut Umfragen möchten etwa 90 Prozent der Menschen zuhause sterben. Tatsächlich sterben aber etwa 70 Prozent der Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. In Deutschland existieren rund 1500 ambulante Hospizdienste, über 180 stationäre Hospiz und 230 Palliativstation mit etwa 100.000 ehrenamtlichen Helfern. Die Palliativ-Pflege (lat: „Ummantelung“) soll sicherstellen, dass jeder Patient unter Einbeziehung von Angehörigen und Bekannten nach seinen individuellen Bedürfnisse auf allen Ebene, körperlich, psychisch, sozial und spirituell, betreut und so ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht wird. Im Gegensatz zu der Curativmedizin geht es in der Palliativ-Pflege und -Medizin nicht mehr darum, Menschen zu heilen, sondern ihnen im Sterben beizustehen. In gewisser Weise kann man sich im Hospiz erholen, um Kraft und Ruhe für das Sterben zu schöpfen. Manche erholen sich sogar so gut, dass sie das Hospiz wieder verlassen wollen.
Menschen im Hospiz
Lachen und Humor sind Kraftquellen, die im Hospiz auf ganz unterschiedliche Weise helfen können: Zum einen den Bewohnern, die in den meisten Fällen unheilbar an Krebs erkrankt sind und versuchen, mit Schmerzen und Ängsten umzugehen. In gewisser Weise entwickelt der Sterbende, gezwungenermaßen, eine Kompetenz in Sachen „Galgenhumor“. Aus der Situation des nahenden Todes heraus, vom Tabu befreit, fällt es ihm oftmals leichter, Witze über Krankheit und sein Sterben zu machen, als beispielsweise den Angehörigen.
Dieser Gruppe scheint es am schlechtesten zu gelingen, angesichts des Leides eines lieben Menschen auch nur zu lächeln. Es wird als pietätslos empfunden, schnell entstehen Schuldgefühle aus der Angst, den Angehörigen zu verletzen, mitgefühllos und kalt zu sein.
Der dritte Gruppe von Menschen, denen, die in einem Hospiz arbeiten, Pfleger, Ärzte, Verwaltungsangestellte, Köche, Therapeuten, Ehrenamtliche, ermöglicht der Humor, Stress abzubauen. Aus einem Lachen können sie Kraft in dem oft anstrengenden Arbeitsalltag schöpfen, sowie Aggressionen, die durch Überforderung entstehen, ablachen.
Im geschützten Raum des Mitarbeiterzimmers werden häufig Witze und Geschichten zum Besten gegeben, die ausschließlich für diesen Kreis gedacht sind. So machte ein Pfleger eine Bemerkung darüber, dass eine Pflegeschülerin weiße Socken mit Totenköpfen trug. Das Motiv war der jungen Frau gar nicht aufgefallen und sie musste selbst am lautesten darüber lachen. Sie entschied sich aber, die Totenkopf-Socken anzubehalten.
Situationskomik
„Das Leben hört nicht auf, komisch zu sein, wenn wir sterben“, schrieb George Bernhard Shaw. Sterben ist in vielen Fällen nicht sanft, sondern kann laut, dreckig, nass, zeitweise entwürdigend und manchmal komisch sein – wie das Lachen. Man kann sich vor Lachen sprichwörtlich in die Hosen machen, sich wegschmeißen, man kann sich krank oder sogar tot lachen. Dieses wilde, zügellose Lachen lässt sich ebenso wie das Sterben nur schwer kontrollieren, sie entziehen sich dem Zugriff in einem Gesellschaftssystem, das die Kontrolle behalten will. Entfesseltes Lachen und Weinen geschieht häufig in absurden Situationen: Eine Hospizhelferin begleitete einen Mann, dessen Frau gerade zuhause gestorben und vom Bestatter abgeholt worden war. Wütend riss der Ehemann das Kissen vom Bett, so kräftig, dass es durch den Raum flog, direkt aus dem Fenster im 12. Stock. Erschrocken über seinen Ausbruch lehnten sich der Mann und die Hospizhelferin hinaus und sahen, wie das Polster in den Ästen eines Baumes landete. Die Hospizhelferin eilte hinunter, Jugendliche kletterten auf den Baum und angelten das Kissen aus den Zweigen. Wieder oben angelangt, brachen Hospizhelferin und Ehemann in erlösendes Gelächter aus, Tränen des Lachens und des Weinens flossen. „Darüber hätte meine Frau bestimmt auch sehr gelacht!“, konstatierte der Ehemann.
Lachen und Humor
Im Gegensatz zum körperlichen Vorgang des Lachens kann Humor als der mentale Prozess gesehen werden, einen Widerspruch zu erkennen und diesen als komisch zu bewerten. Henri Bergson wies darauf hin, dass der Betrachter aber unter diesem Widerspruch nicht leiden dürfe. Dies erklärt, warum Angehörige manchmal über den Humor eines Sterbenden den Kopf schütteln. So sagte ein Bewohner im Hospiz: „Ich bilde meine Angehörigen gerade zu Hinterbliebenen aus!“ Er konnte darüber lachen, seine erwachsenen Kinder allerdings nicht. Sie litten viel zu sehr unter der momentanen Situation. Der Bewohner hingegen verschaffte sich damit Luft.
Humor, so Sigmund Freud, sei eine „höchststehende Abwehrleistung“, Viktor Frankl, der über die lebensrettende Funktion des Humors im KZ schrieb, sah im Humor eine „Waffe im Kampf um Selbsterhaltung“. Der Schriftsteller Arthur Koestler sah im Humor den Zweck, den Menschen „vorübergehend vom Stress zielgerichteter Tätigkeiten zu erlösen.“ Diese Wirkung lebt von einem Perspektivwechsel, durch den eine Situation aus einem überraschenden, neuen Blickwinkel betrachtet werden kann. So wird eine Distanz geschaffen und eine tröstende Wirkung gewonnen. Der seelische Schmerz wird für einen Moment beruhigt, durch die Entspannung lässt sich Kraft und Zuversicht schöpfen. Das bedeutet nicht eine generelle Gefühlskälte, sondern die Weigerung, sich vollständig in die Welt des eigenen Leidens oder des Leidens eines anderen hineinziehen zu lassen. So befürworten Humorforscher wie der Gerontologe Rolf D. Hirsch und der Psychologe Michael Titze Humorinterventionen als Therapie, insbesondere bei der Behandlung von Depressionen. Patienten werden ermutigt, durch Hilfsmittel wie lustige Videos, Bücher, Anekdoten, das Lachen wieder zu entdecken. Um dann auch über sich selbst lachen zu können und eine Distanz zu der eigenen Situation zu gewinnen.
Freude
Ebenso lässt sich aus reiner Freude angesichts des Lebensendes lachen. Da viele Menschen zuhause sterben möchten und die Bettenzahl in den Hospizen begrenzt ist, sind mehr Ehrenamtliche im ambulanten Dienst tätig als stationär. So kam eine Palliativpflegerin zu einem philippinischen Mann, der mit seiner Familie in Berlin-Neukölln lebte, um ihm Morphium zu spritzen. In der Wohnung war es nicht düster und traurig, sondern es herrschte buntes Treiben. Die zahlreiche Verwandtschaft bestückte ein riesige Tafel und lud die Pflegerin ein, mitzuessen. Obst, Kuchen, Brot, Töpfe mit Suppe, Huhn und Fisch standen neben dem Krankenbett. Wegzehrung für die Reise in das Reich des Todes. Dieser letzte Weg auf Erden war für den Sterbenden ein Grund zur Freude, denn im Jenseits ist der Mensch endgültig befreit von Schmerzen und trifft seine verstorbenen Verwandte und Freunde wieder. Deshalb wird in einigen Kulturen auch beim Begräbnis gelacht und getanzt. Die Hoffnung auf Erlösung von Schmerzen, ein freundliches Jenseits oder eine neue Geburt, können zu einem gelassenen und fröhlichen Umgang mit dem Tod führen. Eine Frage der Sichtweise.
Der Tod kann uns aber auch noch eine andere Art der Freude lehren: Durch die Endlichkeit lernen wir, uns an scheinbar kleinen, selbstverständlichen Dingen zu erfreuen. So sagte eine Patientin: „Ich brauche keinen Mercedes, ich kann mich jetzt über ein kühles Glas Milch freuen wie eine Schneekönigin.“ Die Gewissheit des Todes hilft, das wertzuschätzen, was uns früher so selbstverständlich erschien, letztlich aber nie war. Dadurch kann Raum für eine elementare Freude gewonnen werden, die uns nach Erich Fromm innewohnt, ohne, dass wir etwas haben oder dafür tun zu müssen.
Ablachen
Im Ricam Hospiz findet sich neben dem Raum der Stille ein Bücherregal mit einer wachsenden Zahl an Büchern, unter anderem auch zum Thema Humor. Natürlich finden sich hier die Klassiker von Wilhelm Busch, Loriot und Heinz Erhardt. Ich erlebte eine Mutter, die ihrer todkranken, 38-jährigen Tochter an deren Geburtstag Heinz Erhardt vorlas – zu deren großen Vergnügen. Dass dies nicht ganz ohne Zwischenfälle geschieht, war vorherzusehen. So rief die Tochter plötzlich: „Ick loof gerade aus wie Asbach!“ Nach Wechsel der Hygienehose ging es weiter mit Heinz Erhardt.
Auch Cartoons, die schwärzesten Humor bieten, sind beliebt. In den Zeichnungen von Karl-Horst Möhl und Heinz Hinse wird dem Tod eine menschliche Gestalt gegeben. Aus einem verschlingenden und mächtigen Tod wird so ein kleiner, tragischer, ja, lächerlicher, vor dem man kaum Angst haben kann, sondern eher Mitgefühl empfindet. Wie beispielsweise in einem Cartoon, in dem ein erschöpfter Tod, der sichtlich außer Atem ist, einem Jogger hinterher läuft. Mit Hilfe von oftmals makabrem Witz kann Wut und Aggression abgebaut werden. So wird es möglich, tabuisierte Themen, aus der Verdrängung ins Bewusstsein zu holen und sich mit einem erlösenden Lachen von der Angst zu befreien, wenigstens für einen Moment.
Humorvolle Provokation kann auch therapeutisch genutzt werden. Der Begründer der Provokativen Therapie Frank Farelly persifliert die selbstschädigenden Verhaltensweisen seiner Patienten, so dass diese über ihr Verhalten lachen können und damit größere mentale Freiheit gewinnen. Dadurch geschieht eine Neubewertung des Gefürchteten, eine Veränderung kann eingeleitet werden. Klagt ein Patient beispielsweise fortwährend über sein Leid, so entgegnet der Therapeut mit einem Augenzwinkern, dass der Patient so ausgezeichnet leide, dass er geradezu ein Weltmeister des Leidens werden könne. Durch diese überraschende Intervention kann der Patient aus seinem Denkschema für einen Moment herausgerissen werden und lachend eine Distanz zu seinem Leid erreichen. Dies bedarf eines gefestigten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Therapeuten und dem Patienten, sowie besonderes Einfühlungsvermögen von Seiten des Behandlers.
Clowns
Häufig lässt sich bei den Hospiz-Bewohnern ein Nachlassen der geistigen Kräfte und der logischen Denkfähigkeit beobachten. Viele Patienten sind in ihren Reaktionen trotzdem erstaunlich schlagfertig. Einer Anekdote zufolge grüßte eine demenzkranke Bewohnerin den Arzt mit den Worten: „Guten Tag, Herr Pastor.“ „Guten Tag“, antwortete dieser, „eigentlich bin ich Arzt.“ „Alle Achtung“, entgegnete die Dame, „sind Sie aber vielseitig.“ Doch einige Menschen, die an Demenz, Alzheimer oder einem Hirntumor erkranken, aber auch durch Morphium geschwächt sind, erschrecken über ihre Orientierungslosigkeit. Sie sind oft verunsichert, entwickeln Schamgefühl und Angst, das Falsche zu tun und sich zu blamieren. Deshalb ziehen sich viele zurück und können eine Depression entwickeln. Dies zeigt sich daran, dass Ironie nicht mehr verstanden wird. Ebenso wie Kinder erst ab einem bestimmten Alter Ironie verstehen, so kann diese Fähigkeit verloren gehen. Witze sind einfach nicht mehr lustig, das Kommunikationsverhalten verändert sich erheblich.
Diese Menschen erreicht man besonders mit ansteckendem, gemeinsamem Lächeln und Lachen. Durch Spiegelneurone im Gehirn gesteuert, ahmen wir reflexartig das Lachen eines anderen nach, ohne darüber nachzudenken und erleben so wohltuende Ablenkung und Freude. „Menschen mit Demenz und Clowns sind Seelenverwandte“, erklärte mir ein Klinikclown. Dabei gilt es, mit dem Missverständnis aufzuräumen, ein Clown wolle die Menschen auf Teufel komm raus ‚bespaßen‘. Ein Klinikclown lebt von der sensiblen Wahrnehmung einer Situation. Mal ist Freude und Lachen angesagt, ein anderes Mal Ruhe und Besinnlichkeit. Er will an das innere Kind erinnern, an die spielerische Freude, die wir als Kind erlebten, die aber verloren geht, insbesondere im Prozess des Sterbens. Manchen finden den Clown blöd, albern und kindisch. Genau das sind aber seine Stärken. Neben der emotionalen Hingabe hilft der Clown, eine Vogelperspektive einzunehmen, die das Spiel von Leben und Tod, Entstehen und Vergehen erkennen lässt. Daraus kann ein kathartisches Durchleben und Einsicht in einen größeren Zusammenhang erfolgen und nachhaltig therapeutisch wirken.
Von Clowns lässt man sich also einiges abgucken, z.B. sich vom Hang zur Perfektion und Kontrolle zu verabschieden. Leben heißt Scheitern und Fehler zu machen. In dem Sinne gibt es kein gutes oder schlechtes Sterben. Manche wünschen sich, gut, im Sinne von schnell und schmerzlos zu sterben. Dieser Wunsch ist verständlich, doch Sterben ist kein Wettbewerb, in dem der gewinnt, der am entspanntesten stirbt. Von Seiten der Angehörigen steckt hinter dem Wunsch nach einem leichten Tod oft auch der Wunsch, sich nicht zu lange mit Leid auseinandersetzen zu müssen. Doch Tod, Vergehen und Scheitern sind Teil des menschlichen Daseins und helfen uns, daran zu wachsen. Humor und Lachen ermöglichen Inseln der Entspannung, um die anstrengenden Phasen besser bewältigen zu können. Es hilft, sich selbst das Scheitern zu gestatten. Dann lässt sich auch über sich selbst lachen, gemäß der Erkenntnis von Karl Valentin: „Alle Dinge haben drei Seiten: Eine Gute, eine Schlechte und eine Komische!“ Der Clown versteht es, immer wieder in den Augenblick zurückzukehren. Konzepte und Vorstellungen loslassen zu können, zu staunen und wieder neu anzufangen. So kann das Geschehen angenommen werden, oder noch mehr, wir machen uns durch einen Perspektivwechsel vom Spielball des Schicksals zum dramatischen Akteur, der gleichzeitig sein eigenes Publikum ist. Dieses Wechselspiel zwischen Annehmen und Distanz ist eines der Geheimnisse des Clowns.
Humor als Lebenseinstellung
Aber auch die Energie des Lachens ist vergänglich. Pflegende berichten, der Mensch sterbe so, wie er gelebt habe. Wie sich zeigt, fällt es dem einen leichter, dem anderen schwerer, den Humor zu behalten. Doch Humor lässt sich trainieren, denn nach dem Philosophen Ludwig Wittgenstein ist Humor keine Laune, „sondern eine Weltanschauung.“ Durch Humor vermögen wir die Welt gelassener zu betrachten – wenn wir wollen. Eine Entscheidung, die uns letztlich niemand abnehmen kann. „Humor ist, wenn man trotzdem lachen – will.“
Dies bedeutet Arbeit, Humorarbeit, was zunächst paradox klingt. Humor ist nicht nur etwas Spielerisches, das von selbst geschieht, sondern auch etwas, das man sich erarbeiten kann. Während es bei der Trauerarbeit hilfreich ist, die Trauer und das Weinen zuzulassen, geht es bei der Humorarbeit darum, den Perspektivwechsel und das Lachen zuzulassen. Dabei spielt es eine große Rolle, wie die Welt gesehen wird. Humor (lat.: humores: Feuchtigkeit, Saft) bedeutet, etwas zum Fließen zu bringen. Wer es vermag, den Fluss des Lebens, die Veränderung anzunehmen, dem wird der Humor leichter fallen. Loslassen lässt sich kaum erzwingen, krampfhaftes Festhalten um jeden Preis liefert uns die Erfahrung, zu welchem Schmerz dies führen kann. Letztendlich ist es die Erfahrung des Leids und die Reflektion darüber, die uns den Wert des Humors überhaupt begreifen lässt. Woody Allen drückt es so aus: „Komödie ist Tragödie plus Zeit.“ Mit etwas Abstand zeigt manch tragisches Geschehen auch eine komische Seite. Wenn man es zulassen kann.
Humor ist, wenn man trotzem liebt
Um einen Witz zu verstehen, um einen Perspektivwechsel zu einer Situation durchführen zu können, bedarf es der Denkfähigkeit. Aber um Humor auch in extremen Situationen zu behalten, um den Humor zu kultivieren, hilft es immens, sich in die Situation eines anderen hineinversetzen zu können. Früher wurde der Begriff der Herzensbildung dafür verwendet, der heute fast aus unserem Sprachschatz verschwunden ist. Wer Mitgefühl, Güte und Achtsamkeit bei sich selbst und anderen sucht und entwickelt, kann beobachten, dass die Humorfähigkeit wächst und das Herz sich (aus)bildet. Denn wenn das Verständnis für sich und andere steigt, so lassen sich viele Dinge als komisch und humorvoll betrachten, anstatt als persönliche Katastrophe oder Angriff. Durch das Verständnis, dass jeder Mensch nach Glück und Schmerzfreiheit strebt, kann Verbindung und Verständnis entstehen. Dadurch wird die Fähigkeit, trotzdem Lachen bzw. Lächeln zu können, nachhaltig kultiviert. In dem Sinne kann man sagen: „Humor ist, wenn man trotzdem liebt.“ Denn wer für sich und andere Mitgefühl bewahrt, wird gelassener reagieren können.
Es geht also nicht um zwanghaft positives Denken oder ständiges Lachen, sondern um einen Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung: Den Wandel anzunehmen, Empathie zu entwickeln, offen zu sein für das Komische, die Freude nicht zu vergessen und Mut zum Lachen zu haben. So wie der Schriftsteller Karl Julius Weber, der schon zu Lebzeiten die Inschrift seines Grabes festlegte: „Hier liegen meine Gebeine, ich wünschte, es wären deine!“
Bücher von Harald Alexander Korp:
Lachen mit Buddha – Anleitung für mehr Humor und Lebensfreude, Herder 2016
Am Ende ist nicht Schluss mit lustig – Humor angesichts von Sterben und Tod, Gütersloher Verlagshaus 2014
Macht Lachen schön? 223 Fragen (und Antworten) rund um Humor, Witz und Lachen, HCD Verlag 2014
Lachende Propheten – Witz und Humor in den Religionen, HCD Verlag 2012
Der Fall Undine – Kriminalmärchen, Verlag Ruetten & Loening 1994
Mehr auf seiner Website: www.hakorp.de
Ein Video über das Ricam-Hospiz in Berlin.
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