„Ich möchte mit den Sarggeschichten Menschen Mut machen in sich zu hören“
Elysium.digital im Gespräch mit Sarah Benz, die auf sarggeschichten.de Videos zum Thema Sterben und Tod veröffentlicht
Sarah Benz ist Musikerin, Dipl. Sozialpädagogin, Notfallseelsorgerin, Trauerbegleiterin und einiges mehr. Schon seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit den Themen rings um Sterben, Tod und Trauern. Letztes Jahren hat sie das Projekt sarggeschichten.de gegründet, in dem nach und nach Videos entstehen und veröffentlicht werden. Etwa mit den Titeln „Was kann ich sagen, wenn jemand gestorben ist?“, „Was ist ein Hospiz?“ und „Was ist eine Hausaufbahrung?“ Zuletzt veröffentlichte das Projekt das Video-Interview „Braucht man zum Sterben einen Arzt?“ mit einem Palliativ-Mediziner.
Liebe Sarah, was war der Anlass zur Gründung von sarggeschichten.de?
Es gibt in Deutschland immer mehr Angebote für Sterbende und Trauernde, aber ich wollte Menschen erreichen, die vielleicht erst damit beginnen, sich Gedanken zu machen. Besonders junge Leute schauen sich nicht einen halbstündigen Film übers Sterben an, um sich zu informieren. Wir hoffen, mit den Sarggeschichten ein leicht zugängliches Format geschaffen zu haben, für Menschen jedes Alters, die Fragen haben zu den Themen Sterben, Tod und Trauer.
Ihr seid mittlerweile ein ganzes Team. Wie habt Ihr zueinander gefunden?
Mit dem Bestatter und Kulturwissenschaftler Jan Möllers habe ich vorher schon gemeinsam Projekte und Veranstaltungen rund um die Themen Sterben, Tod und Trauer gemacht. Wir hatten aber beide noch keine Erfahrungen mit Filmen, deshalb haben wir „Bildungsfilm“ dazu geholt und damit waren wir arbeitsfähig. Mit Hilfe von Dr. Thomas Sitte und der Deutschen Palliativstiftung kam dann die Finanzierung zustande.
Als wir gemerkt haben, wie schnell das Projekt wuchs, haben wir die Mediengestalterin und Bestatterin Karen Admiraal gefragt, ob sie uns unterstützt. Nun sind wir zu dritt im Konzeptteam. Dazu kommen aber noch unzählige Leute, die uns unterstützen, indem sie ehrenamtlich in den Filmen mitspielen, uns und unser Equipment durch die Gegend fahren, Drehorte organisieren und vieles mehr. An dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön an diese Menschen!
Die Filme sind nicht „mal eben mit dem Handy“ gedreht. Man spürt, dass da viel fachliches Knowhow mitwirkt. Warum ist Dir das wichtig?
Die Filme sind kurz, da überlegen wir natürlich genau wofür jede Sekunde verwendet wird. Mit unseren unterschiedlichen beruflichen Perspektiven diskutieren wir jeden Film vorher sehr detailliert. Das ist ein intensiver Prozess, der schon lange läuft, bevor die Kameras angehen.
Als Erkennungszeichen verwendet Ihr einen rot angemalten Sarg – warum ist er rot?
Oft herrscht beim Thema Tod ja eher das Schwarz vor. Dem wollten wir etwas Farbenfrohes entgegensetzen. Rot signalisiert außerdem: „Achtung – wichtig“! Wir finden die Themen unserer Filme wichtig und wollen auch Aufmerksamkeit. Außerdem trage ich sehr gern grüne Sachen und das passt dann gut zusammen.
Auf unserem Bild ist der Sarg allerdings nicht fertig bemalt. Das war eigentlich Zufall, aber nun gefällt es mir sehr. Die unbemalten Stellen stehen für den Zweifel, alles was wir nicht wissen und was uns immer wieder dazu treibt Dinge und Ansichten in Frage zu stellen. Gerade bei unseren Themen, da ist man ja nie fertig. Das ist ja auch das Schöne daran.
Warum nutzt Du das Medium Video? Man könnte den Inhalt beispielsweise vermutlich mit deutlich weniger Aufwand in Texten schriftlich niederlegen.
Wenn es um Sterben, Tod und Trauer geht, erleben wir oft eine gewisse Sprachlosigkeit, aber eben auch eine Bildlosigkeit. Manche Dinge kann man einfach besser, schneller und klarer kommunizieren, wenn es nicht nur Worte, sondern auch Bilder sind.
Wir wollen, dass die Filme ansprechen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wünsche mir einen Dialog mit den Zuschauern, deshalb blenden wir auch unsere Adresse ein.
Wie entsteht die Idee zu einem bestimmten Thema, das ihr dann verfilmt?
Die ersten Ideen entstanden direkt aus unserer Arbeit als Notfallseelsorgerin, Trauerbegleiterin und Bestatter. Wir mussten uns sogar einschränken, weil es viel zu viele Ideen waren. Mittlerweile schreiben uns auch Menschen, welche Themen sie gerne sehen würden oder welche Fragen sie haben. In Zukunft hoffen wir, dass wir die Ideen nur noch aus dem Austausch mit den Menschen bekommen, die unsere Filme sehen und mit ihnen arbeiten.
Kann man in einem Video, das gerade mal fünf Minuten dauert, genügend Informationen unterbringen?
Es geht uns gar nicht darum allumfassend zu informieren, das ist bei solch komplexen Themen wie Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung auch gar nicht möglich. Ich möchte aber gerne Denkanstöße geben, warum bestimmte Themen wichtig sein können. Ich hoffe, das sich Menschen davon angesprochen fühlen und dass sie sich fragen, was diese Themen mit ihnen zu tun haben. Weitere Informationen gibt es in Mengen und wir geben auch Tipps, wo man die finden kann.
Du bemühst Dich offensichtlich, auch auf schwierige Fragen einfach formulierte Antworten zu finden – was meist viel schwieriger ist, also ausführliche Erklärungen. Damit sprecht Ihr sicherlich auch Kinder und Jugendliche an. Gibt es von diesen schon direkte Rückmeldungen an Euch? Können sie mit diesen Themen etwas anfangen?
Ja, ein paar Rückmeldungen haben wir auch von Jugendlichen und ich wünsche mir sehr, dass es noch mehr wird. Ein junges Mädchen sagte, sie habe einen Film gleich ihren Kollegen gezeigt, weil eine Arbeitskollegin ihr Baby in der Schwangerschaft verloren hat und nun keiner weiß, wie oder ob man mit ihr darüber sprechen soll.
Auch wenn man denkt, junge Leute haben mit dem Tod nichts am Hut, überrascht es doch, wenn man merkt, auch die haben Erfahrungen und machen sich Gedanken. Und es sind nicht immer die Großeltern, die sterben, sondern auch Schulkameraden, Eltern und Geschwister. Nur haben wir oft Angst darüber zu reden. Ich wünsche mir, dass wir mutig werden, dass wir uns einander mehr zumuten. Kinder und Jugendliche sollen erleben, dass man weinen kann und schwach sein darf und dann auch wieder lachen und Blödsinn machen kann. Nur müssen wir es vorleben und selber die Angst vor unseren Gefühlen verlieren.
Gab es auch schon Tiefpunkte oder Rückschläge in den vergangenen Monaten? Was hat Dich traurig oder wütend gemacht? Aber auch: Worüber hast Du am meisten gelacht?
Beim Drehen lachen wir viel. Es geht manchmal so viel schief, bis eine Szene im Kasten ist.
Also ich klopfe jetzt mal auf Holz… Rückschläge haben wir nicht erlitten. Im Gegenteil, ich kann manchmal gar nicht fassen, wie weit wir in nur einem Jahr gekommen sind. Die Deutsche Palliativstiftung unterstützt uns, wann immer es möglich ist, und so geht es Stück für Stück weiter. Vor einem Jahr war das alles noch ein Traum von mir. Ich bin wirklich sehr dankbar und froh.
Du hast sarggeschichten.de Anfang 2016 gegründet, das Projekt ist also noch sehr jung. Wenn Du in fünf Jahren auf die Entwicklung von sarggeschichten.de zurückschauen wirst, was müsste geschehen sein, so dass Du sagen könntest: Ja, das war eine wirklich gute Idee!
Das würde ich jetzt schon sagen, denn die Filme gibt es, sie sind da und bleiben da, egal wie es weitergeht. Ich wünsche mir natürlich, dass noch mehr Menschen die Filme sehen und auch benutzen zum Unterrichten, als Denkanstoß oder als Hilfe für Betroffene. Es wäre auch schön, noch mehr ins Gespräch zu kommen, besonders mit Menschen, denen die Themen Sterben, Tod und Trauer fremd sind oder sogar unheimlich. Ich denke man kann so viel gestalten, wenn jemand stirbt und auch in der Trauer. Aber dazu muss man wissen, was eigentlich alles möglich ist. Im meinem Trauercafé kommt es öfter vor, dass jemand sagt, „Was, das darf man? Das hätte ich damals gerne gemacht, als meine Mutter/mein Mann usw. gestorben ist, aber ich wusste nicht, dass das geht.“ Das macht mich sehr traurig. Ich möchte mit den Sarggeschichten Menschen Mut machen in sich zu hören, zu spüren, was sie brauchen und dies dann auch durchzusetzen. So wird unsere Sterbe- und Trauerkultur lebendiger und bunter.
Welches Buch, Lied oder Bild zum Thema Sterben und Tod möchtest Du unseren LeserInnen empfehlen?
Ich persönlich liebe das Buch „Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlenbruch sehr. Es ist eigentlich ein Kinderbuch, aber ich finde die Vorstellung sehr tröstlich, dass der Tod uns nicht aus dem Leben reißt, sondern auf uns acht gibt, um uns dann zärtlich aufzufangen, wenn es soweit ist.
Fachlich finde ich das Buch „Tabuthema Trauerarbeit“ von Margit Franz hervorragend! Jede Kita sollte es haben. Auch Chris Paul hat tolle Bücher geschrieben, z.B. „Keine Angst vor fremden Tränen“ oder „Warum hast Du uns das angetan?“ – ein Buch über den Suizid, ein Thema, dass bei uns ja noch tabuisiert wird.
Musik… ich finde so viele Lieder und Musikstücke toll… Also viele Zugehörige wünschen sich, dass ich zur Trauerfeier „Over the rainbow“ singe. Ich glaube die Idee von der Welt hinter dem Regenbogen gibt vielen Trauernden Halt.
Ich denke gerade bei Trauerfeiern ist es wichtig, dass die Lieder zum Verstorbenen passen; dann würde ich spielen, was er oder sie gerne gehört hat, auch wenn es Metall oder Rap ist.
Da ich ja besonders bei Trauerfeiern für Kinder singe, finde ich auch Kinderlieder sehr schön, gerade weil sie so einfach sind. „Kommt ein Vogel geflogen“ ist ein Lied, was mich tief berührt. Der Vogel bringt den Gruß von der Mutter und nimmt den Kuss für sie mit, weil das Kind nicht mitkommen kann, da es „hier“ bleiben muss. Wo auch immer „hier“ nun ist. Da stecken so viele Bilder drin. Mir gefällt die Idee, dass trotz der Trennung ein Kontakt möglich ist über den Vogel, der alle Grenzen überwinden kann.
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