Ein bewegender Einklang: Humor und Leid – im Leben und in der Musik

Rückblick auf die Benefiz-Veranstaltung "Letzte Lieder" in Köln

Tod und Sterben sind das letzte Tabu-Thema? Ach was! Mit dieser Aussage kokettieren so manche Buch-Autoren, die sich einen wirtschaftlichen Erfolg mit einem scheinbaren Tabu-Bruch erhoffen oder bestenfalls eine umsatzsteigernde Kontroverse. Tatsächlich aber ist das Thema dort, wo es immer war, zu finden, nämlich mitten in der Gesellschaft. Nur eben häufig an den ruhigeren Stellen wie am vergangenen Sonntag in Köln. Fast drei Stunden lang ging es dort um Leiden, Sterben, Tod –  und unweigerlich natürlich auch um das Leben. Und der Veranstaltungsraum, die Agnes-Kirche, war übervoll.

Schon seit einigen Jahren organisiert Stefan Weiller Veranstaltungen unter dem Motto „Letzte Lieder – und die Welt steht still“. Weiller ist von Haus aus Journalist und bezeichnet sich heute als „freischaffender Künstler“, was eher verwirren mag, weil dies für alles und nichts stehen kann. Was Herr Weiller (unter anderem) ganz konkret tut: Er besucht Menschen im Hospiz und begegnet ihnen mit der Frage: „Welche Musik ihnen im Leben wichtig?“ Nach seinen Besuchen fertigt er Gedächtnisprotokolle an.

Dies hat er in den vergangenen Monaten auch im Hospiz St. Vinzenz in Köln getan. Aus den Protokollen entstehen Veranstaltungen wie jene vom vergangenen Sonntag. Dass sie nicht wörtlich wieder geben, was in den Aufzeichnungen steht, sondern von einem Künstler auf den Punkt Gebrachtes, ist deutlich zu spüren. Herr Weiller sagt auch ganz ehrlich, dass einzelne der Text Geschichten sind, die er  „frei nach wahren Motiven“ gestaltet. Was ihnen aber nicht die Authentizität nimmt.

Unterstützt wird Herr Weiller bei seinen Veranstaltungen von überregional bekannter Prominenz. Schon die Aufzählung verblüfft: Annette Frier und Christoph Maria Herbst rezitieren die Texte. Etliche Musiker tragen anschließend das jeweilige Lied vor, das der Hospiz-Gast genannt hat. Es sind hochkarätige Musiker: Die Kölner Kurrende, ein Konzert-Chor sowie die Solisten Christina Schmid (Sopran), Mareike Bender (Mezzosopran), Julian Habermann (Tenor), die Kölner Kult-Band „Die Räuber“, das schwedisch-stämmige Pop-Quartett Ason, und weitere erstklassige MusikerInnen. Alles unter Leitung des Kantors Ralf Sach. Dass das Niveau hoch sein würde, ist somit vorab schon klar.

„Jeder Hospiz-Gast ist ein Schatz“, sagt ein Pionier der deutschen Hospiz-Bewegung seit jeher. Die BesucherInnen der Veranstaltung konnten bereits nach kurzer Zeit erfahren, was damit gemeint ist: Die geschilderten Lebenssituationen und – rückblicke waren sehr bewegend, oft von tiefer Weisheit. Auch Annette Frier und Christoph Maria Herbst war deutlich anzumerken, dass sie – bei aller Professionalität  – doch selbst berührt waren von den tiefen Gedanken, aber auch vom Leid und dem Schmerz, die zum Sterben gehören. Sie trugen die Texte würdevoll und mit Empathie vor. Es saßen nicht Prominente auf der Bühne, sondern Menschen wie Du und ich – aber eben Menschen mit einem besonderen Talent.

Für viele Gäste im Saal, die noch kein Hospiz besucht haben, mag es verblüffend gewesen sein, welche große Rolle der Humor in den Vorträgen spielte. Wer im Leben gerne lacht, der hört auch in den letzten Tagen nicht damit auf. Wie eben jene Frau, die all ihre verflossenen Männer charakterisiert. Wie jener Kölner, der davon erzählt, dass er vor einem Konzert in Köln Frank Sinatra angeschrieben und ihm angeboten hat,  dass er eine kölsche Fassung von „My Way“ während der Aufführung vortragen könne.

Aber es gibt eben auch jene Geschichten, in denen der Hospiz-Gast viel länger lebt, als von den Ärzten erwartet – und es wird deutlich, welche Schwierigkeiten dies bei Angehörigen und Freunden auslöst, die sich verabschieden wollen. Und es gibt auch den Bericht von einem sterbenden Mädchen, das seinen Vater tröstet, der zurück bleibt.

Zeit, den Gefühlen Raum zu geben, schufen die MusikerInnen, die nach jedem Vortrag ein Musikstück vortrugen. So individuell wie wie das Leben, so vielfältig war dementsprechend auch die Auswahl der Stücke. Der Bogen spannte sich von Oper-Arien über ein Lied von Herbert Grönemeyer, Schlager (Immer wieder sonntags), einem Karnevalshit von den „Räubern“ bis hin zur Melodie einer Spieluhr. Die musikalische Qualität war – man kann es nicht anders sagen – überwältigend. Und so war  die Musik eben jenes Element, das im Halbdunkel des kirchlichen Raumes die Gelegenheit schuf für eine Träne.

Tod als Tabu-Thema? Nein, so einfach ist das nicht. Mag sein, dass die Prominenz der Beteiligten bei dieser Benefiz-Veranstaltung zugunsten des St.-Vinzenz-Hospizes so manche Besucher motivierte zu kommen. Aber mal ehrlich – jede/r wusste vorab: Es wird ein Abend werden, an dem es auch um Schmerzen geht, an dem Ängste angesprochen, Gefühle ausgelöst werden. Gehen Sie gerne zur besten Tatort-Zeit in eine Kirche in der Erwartung, dass über den Tod gesprochen wird und Sie traurig werden, vielleicht auch weinen müssen? Es kamen viele Menschen… Wie kann sich deutlicher zeigen, dass für immer mehr Menschen der Tod Teil ihres Leben ist?

Es ist Stefan Weiller zu danken dafür, dass er mit einem einzigartigen Konzept so viele Menschen bewegt.

 


Das Projekt „Letzte Lieder“ gibt es in wechselnden Besetzungen auch künftig an verschiedenen Orten des Landes.

Der Initiator ist Stefan Weiller, der nicht nur die Texte verfasst, sondern auch das Konzept entwickelt hat und die Gesamtleitung trägt.

Weitere Informationen gibt es hier:

Sankt-Vinzent-Hospiz Köln

Kölner Kurrende

Die Räuber.

Annette Frier

 

Michael Ziegert
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