Was macht Mama jetzt?
Erinnerungen an die Kindheit von Jürgen Caloja
Der Autor macht mit dieser kleinen Geschichte einen Ausflug in seine Kindheit. Aus der Perspektive eines kleinen Jungen beschreibt er den Abschied von seiner Mutter.
Gerade habe ich es geschafft, viele i i i i i i i i auf die Linie zu schreiben. Richtig stolz komme ich von der Schule nachhause und steige – wie immer – die steile Wiese vom Parkweg zu unserer Straße hoch. Vor unserem Haus steht ein großes schwarzes Auto mit wuchtigen runden Kotflügeln. Das hintere Fenster ist offen. Ein dickes, weißes Bettkissen guckt heraus. Komisch. Ich komme ins Haus, da macht Opa die Wohnzimmertür auf und sagt: „Komm rein, wir sind hier.“ Alle sind sie da: Opa, Tante Paula – seine neue Frau – seine Schwester, Tante Grete, mein Papa, Mamas Schwester Tante Christel und ihr jüngerer Bruder Onkel Päule.
Die alte Tante Grete nimmt mich auf den Schoß. Alle sind traurig. Papa hat Tränen in den Augen, aber er ist weit weg von mir und mit sich selbst beschäftigt. Tante Grete flüstert mir ins Ohr: „Deine Mama ist heute gestorben, sie ist tot. Sie kommt nicht nachhause.“ Ich hatte Mama vor ein paar Tagen mit Papa im Krankenhaus besucht. Sie lag da sehr krank und schwach. Sie hat mir mit der Hand übers Haar gestreichelt und gesagt: „… und dann bist du immer schön lieb zum Papa…“ Ich hab genickt und bin sofort fest entschlossen, alles richtig zu machen. Ich weiß, es ist ein letzter Abschied.
Tante Gretes Stimme löst die Tränen in mir. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Mir wird klar, die Mama kommt nicht wieder. Schon zwei Jahre war sie schwer krank und musste immer wieder ganze Tage im Bett liegen. Ihr Hals wurde dicker und dicker. Sie bekam immer weniger Luft und röchelte oft. Manchmal hauchte sie meinen Namen. Ich konnte ihre Worte nur durch ihr Gesicht und die Hände verstehen.
Zur Beerdigung haben sie mich nicht mitgenommen. Ich fand es nicht gut. Aber am Tag nach der Beerdigung laufe ich allein zum Friedhof, krieche durch ein Loch unten in der Hecke. Ich finde Mamas frischen Grabhügel sofort. Ich bin froh, bei ihr zu sein. Ich setze mich mitten in einen Kranz mit gelben Blumen. Und dann bin ich wieder traurig und muss lange weinen. Und immer frage ich Mama, was sie jetzt macht. Ich glaube, sie sieht mich. Dann bin ich wieder durch das Loch in der Hecke zurück nachhause. In der ganzen Zeit danach gehe ich immer zu ihr, weil ich ihr nah sein will. Mama ist aber immer weiter weg. Bis sie mir eines Tages gezeigt hat, dass ich sie hier, in meinem Herz, spüren kann. Da wurde alles besser.
Copyright Foto: Angelika Overmans
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