„Da haben wir die Ärmel hochgekrempelt und die Gründung gewagt.“

Interview mit mit dem Gründer und Vorsitzenden der Deutschen PalliativStiftung, Dr. Thomas Sitte

Dr. Thomas Sitte, Jahrgang 1958, ist Palliativmediziner und Autor zahlreicher Bücher und Publikationen zur Palliativmedizin und Demenz. Er gründete 2010 zusammen mit sieben weiteren Gründungsstiftern die Deutsche PalliativStiftung in Fulda und ist seither deren Vorstandsvorsitzender. In dieser Funktion setzt er sich besonders für einen leichteren Zugang zu angemessener Palliativversorgung und die notwendigen Änderungen der Rahmenbedingungen ein.

thomas-sitteIm Umfeld der Hospize, die in den vergangenen Jahren in Deutschland gegründet wurden, sind auch Stiftungen entstanden. Mit der Deutschen Palliativstiftung haben Sie eine übergreifende Stiftung gegründet – warum? Wie kam es dazu?

Eigentlich war es quasi fast wörtlich eine Schnapsidee. Sie entstand an einem feuchtfröhlichen Abend bei einem Kinderpalliativkurs in Datteln. Und als wir es näher diskutiert haben, bemerkten wir, wie dringend notwendig eine solche breit aufgestellte Stiftung wäre. Da haben wir die Ärmel hochgekrempelt und die Gründung gewagt. Von der ersten Idee bis zur Gründung sind damals dann kaum sechs Monate vergangen.

Warum war es Ihnen ein persönliches Anliegen, diese Stiftung zu gründen?

Ich wollte insbesondere etwas tun, damit ich ungewöhnliche Wünsche am Lebensende noch gut vernetzt erfüllen kann. Das ist derzeit aber leider mehr eine „Nebentätigkeit“. Ich habe sehr schnell gemerkt, wie gut wir durch die Stiftung mit wahrhaftiger, fundierter Informationspolitik Entscheider mit relevanten Informationen aus der Praxis versorgen können. Da gibt es einen riesengroßen Bedarf an Lobbyarbeit im positiven Sinne.

Was sind die Ziele der Stiftung?

Einfach gesagt: informieren, unterstützen, begleiten, aufbauen. Wir wollen, wie oben angesprochen, derzeit primär die Entwicklung der grundlegenden Strukturen unterstützen und die Bevölkerung gleichzeitig über die Möglichkeiten von Hospizarbeit und Palliativversorgung informieren.

Ganz aktuell haben Sie vom Verband der Ersatzkassen (vdek) einen Sonderpreis für die Broschüre „Pflegetipps – Palliative Care“ bekommen, die nun schon in 14 Sprachen zur Verfügung steht. Die Stiftung hat offensichtlich frühzeitig erkannt, dass auch die steigende Zahl verschiedener Kulturen in Deutschland die palliative Arbeit verändern wird. Wie sehen Sie die weiteren Herausforderungen für diesen Bereich in Deutschland? Was ist noch zu tun?

Die Sterbebegleitung von Menschen aus einem anderen Kulturkreis ist in weiten Teilen natürlich identisch oder doch sehr ähnlich. In anderen Teilen aber grundverschieden. Das betrifft zum Beispiel die Erwartung an die Wahrhaftigkeit im Umgang mit dem Patienten und seiner Familie. Teils auch die Auseinandersetzung mit der Tödlichkeit einer Erkrankung überhaupt, und natürlich die Akzeptanz von Therapie und Pflege. Da könnten die Pflegetipps nach der Aussage vieler Betroffener exzellente Dienste leisten.

Die Zahl der Stiftungen ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen. Die Vorstellung, Werte zu schaffen und zu unterstützen, die die Zeiten überdauern, wird offenbar für immer mehr Menschen attraktiver. Grundsätzlich ist es auch schon mit vergleichsweise geringen Beträgen – etwa 50.000 Euro – möglich, eine Stiftung zu gründen. Da aber Verwaltungskosten anfallen, würde diese die Erträge bisweilen schon auffressen – damit könnte das Geld nicht für den eigentlichen Stiftungszweck verwendet werden. Die Deutsche PalliativStiftung bietet deshalb an, sich ihr mit einer eigenen Stiftung anzuschließen. Wie funktioniert das und welche Vorteile hat dies für Gründer einer solchen „Stiftung in der Stiftung“?

Als Zustiftung, Stiftungsfond oder auch Treuhandstiftung für Zwecke, die im Rahmen der Verfassung der Deutschen PalliativStiftung abgedeckt sind, müssen die sehr kraftzehrenden und teils schwierigen Verhandlungen mit den Behörden nicht durchgeführt werden. Das spart Zeit UND Geld gleichermaßen.

Das Kapital darf eine Stiftung nicht anfassen, das liegt in der Natur der Sache. Sie kann also nur von Finanzerlösen des vorhandenen Kapitals ihren Stiftungszweck erfüllen. Das stellte viele Stiftungen in Zeiten der Nahezu-Null-Zins-Politik vor große Herausforderungen. Zugleich verlangt die Stiftungsaufsicht, dass verantwortungsvoll mit dem Kapital umgegangen werden muss. Sie haben nun einen neuen ungewöhnlichen Weg gewählt: Sie haben ein vorhandenes Unternehmen übernommen. Das Unternehmen vermarktet Produkte des Arbeitsschutzes und ist nicht gemeinnützig. Wie kam es dazu?

Wir wurden von einer Unternehmerin testamentarisch bedacht. Sie wollte jetzt zu geistig und körperlich recht fitten Zeiten ihre Firma auflösen und uns das Geld dann später zustiften. Da haben wir überlegt, ob wir es nicht wagen sollten, die Firma weiterzufühen.

Das Ziel ist klar: Sie möchten mehr Erlöse erzielen, als es mit Geldanlagen auf dem Kapitalmarkt derzeit möglich ist. Aber wie stellen Sie sicher, dass das Risiko nicht zu groß wird?

Die Firma ist uns geschenkt worden. Die Stiftung steckt kein Kapital hinein. Mehr als unsere ehrenamtliche Arbeitszeit haben wir an Geld bislang nicht investiert und müssen es auch zukünftig nicht tun.

Welche Projekte wollen Sie künftig damit besonders unterstützen? Wo sehen Sie den größten Entwicklungsbedarf in der palliativen Arbeit in den nächsten Jahren?

Ganz klar muss der Schwerpunkt die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sein. Solange die meisten Bürger nicht wissen, worum es in der Versorgung am Lebensende geht, kann es nicht durchgreifend besser werden. Solange werden nicht nur in der kurativen Medizin Ressourcen oft für den Patienten am Lebensende nutzlos eingesetzt, sondern auch in der Hospizarbeit und Palliativversorgung wird dort weiter ausgebaut, wo die Strukturen bereits gut sind. Flächendeckung erreichen wir aber nur, wenn wir in den strukturschwachen Gebieten Grundlagenarbeit machen!

Wichtig wird es sein, Kräfte zu koordinieren und gemeinsam Projekte anzugehen. Es gibt noch viel zuviel nebeneinander und gegeneinander.

Was ist Ihre Vision für die Stiftung – wo könnte sie sich in 20 Jahren darstellen?

Bis dahin habe ich mich weitgehend ausgeklinkt. Vielleicht brauche ich dann selber schon palliative Begleitung. In zwanzig Jahren werden wir weit über Deutschland hinaus Projekt anschieben und unterstützen können. In Deutschland werden wir eine Vielzahl kleiner und großer Projekte fördern können, weil unser Grundstockvermögen aus heutiger Sicht schwindelerregende Höhen erreicht hat und wir eine große Zahl an Fördermitgliedern haben.

Herr Dr. Sitte, wir bedanken uns für das Gespräch.


Weiterführende Informationen:

www.palliativstiftung.de/

de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Sitte

Michael Ziegert
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