Riten des Übergangs

Zwölf Aspekte für die Gestaltung von Ritualen in der Sterbebegleitung

3. Die drei Ebenen von Ritualen

An dieser Stelle eignen sich Riten, denn sie helfen eine Brücke zu bauen von der materiellen Welt zur inneren Erfahrung. Das Geheimnis ihrer Wirkung liegt auf der spirituellen Ebene. Ein gutes Ritual hilft, Leiden zu transzendieren. Dies wird in folgender Definition deutlich:

Nach Lurker (Wörterbuch der Symbolik) ist der Ritus( latein. Brauch) ein kultischer Brauch. Die verschiedenen Riten eines Kultes bilden das Ritual. … Kult ist nach Lurker der äußere Ausdruck der inneren Ehrfurchtshaltung dem Göttlichen gegenüber. Keel geht noch weiter und meint, dass Kult, bzw. die Kulthandlung verdichteter Alltag sei. Im Ritual vollzieht der Mensch den Weg Gottes oder des göttlichen Helden mit Leib und Seele nach und wird „gleichzeitig“ mit ihm (Steffen, S.9).
(zitiert nach Landner/Zohner, Trauer und Abschied, Ritual und Tanz für die Arbeit mit Gruppen, Mainz 1992, S. 30 f)

Ein Ritual hilft uns Bedingungen herzustellen, unter denen wir unsere Emotionen und Schmerzen transzendieren können. Es geht dabei um das Durchleben der Gefühle, Erinnerungen, die Tränen dürfen fließen, klagen ist erlaubt( z.B. im Abschiedsritual). Dabei bleiben wir jedoch nicht stehen. Wir schaffen die Voraussetzungen für die Vereinigung mit dem Göttlichen, dem Raum, in dem alles miteinander verbunden ist, durch Meditation, Gebet, indem wir Zuflucht nehmen. Die Gemeinschaft trägt uns, gibt Schutz und Geborgenheit. Der Zeremonienmeister steuert oder hält die Energien, das Kraftfeld, das im Ablauf des Rituals entsteht. Um Missbrauch zu vermeiden, bedarf es beim Ritual der Einhaltung festgelegter Regeln, die den geheiligten Raum schützen, die Übergriffe auf einzelne verhindern und den Schutz der Gruppe vor dem Chaos gewährleisten. Ein Ritual fordert von uns die Einhaltung von Regeln, das heißt Disziplin. Wir halten die Disziplin ein, weil wir geheilt werden wollen, das Ritual uns gut tut.

1. Die erste Ebene ist die persönliche Erfahrungsebene vor Ort, die gebunden ist an die Sinneswahrnehmung, Raum, Zeit, Ort sowie den Ablauf, wie er äußerlich geschieht. Auf dieser Ebene sind wir der Realitätswahrnehmung in dieser Welt verhaftet. Wir sehen Blumen und Kränze, den Leichnam, die Lichter, hören die Musik, sitzen auf unserem Platz, reden mit anderen, singen ein Lied, sind still, genießen Düfte (Weihrauch, Räucherstäbchen), fasen uns vielleicht an, halten die Hand einer Freundin, spüren ihre Wärme.

2. Auf der zweiten Ebene bewegen wir uns innerhalb unserer Emotionen Die Erfahrungen gehen tiefer. Wir lösen uns von den äußeren Rahmenbedingungen, gehen in Resonanz mit dem, was sie in uns auslösen (das Foto des Verstorbenen, seine Lieblingsmusik), lassen uns berühren von Symbolen und symbolischen Handlungen. Wir sind traurig, vielleicht auch wütend, weinen und klagen, erinnern uns, fühlen die Verbindung zum Verstorbenen, sind ganz im Seelen-Schmerz. Im Fließen der Gefühle entlasten wir unser Herz bis zu dem Moment, in dem wir genug haben vom Erleben des Getrenntseins. Meist sind wir ein wenig erschöpft, lassen dabei Widerstände los. Wer seine Gefühle ausdrückt, wird durchlässiger. Das Erleben der innern Schmerzes weist uns den Weg in ihre Überwindung. Die Sehnsucht nach einer Brücke in einen heilen Raum entsteht.

3. Die dritte Ebene ist die transzendente oder spirituelle Ebene. Hier gehen wir über diese Brücke, in die Verschmelzung, die Hingabe an das Göttliche oder unsere ureigene Natur, wenn wir fühlen, dass die Trennung, die wir erleben nur eine äußere ist . Wir können in unseren Herzen und Gedanken verbunden sein, während wir Loslassen. Beides gehört zusammen. So löst sich Leiden auf. Wir berühren den Raum, in dem Heilung geschieht. Das geht im Gebet, bei der Rezitation von spirituellen Texten, wenn wir Gottes Segen erfahren oder Trost aus heiligen Texten, die ins Überpersönliche verweisen. Im Singen spiritueller Lieder, in Lobpreisungen Gottes, in der stillen Einkehr bei gemeinsamem Schweigen, in der Meditation können wir Verbundensein mit allem erfahren. Wir erkennen, dass Leben und Tod zwei Seiten einer Medaille sind. In diesen Momenten gibt es keine Trennung von Ich und Du. Nur ein kleiner Augenblick dieser Erfahrung ist sehr trostreich, denn er öffnet das Herz für eine Liebe, die über uns selbst hinaus weist.

Fazit
Wir erfahren auf der Reise in einem gelungenen Abschiedsritual die Vergänglichkeit, unser Begehren, unsere Abwehr, spüren unseren Schmerz und entwickeln die Sehnsucht nach der Überwindung des Leidens. Deshalb ist der Höhepunkt jedes Rituals, die sanfte aber klare Öffnung des spirituellen, transzendenten Raums, den jeder dann auf seine Weise betreten kann. Dort angekommen, blicken wir in unsere Unsterblichkeit und erleben Heilung.

Lisa Freund
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Eine Antwort

  1. 1. November 2016

    […] Uller Gscheidel erläutert, dass Rituale eine Gemeinschaft schaffen und Übergänge erleichtern. Aus der Sicht des Bestatters schreibt er, worauf man unbedingt achten sollte. In unserem Menu finden Sie  unter der Rubrik Rituale weitere Artikel zur Gestaltung einer Trauerfeier ebenso wie einen Überblickstext zum Thema Riten des Übergangs. […]

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