Riten des Übergangs
Zwölf Aspekte für die Gestaltung von Ritualen in der Sterbebegleitung
6. Rituelle Kraftfelder
Rituale der großen Religionen sind wiederholbar, enthalten immer die gleichen Symbole, der Ablauf ist geregelt, z.B. das Abendmahl oder die christliche Trauerfeier. Was wir oft als anödend empfinden, hat einen tieferen Sinn. Die Wiederholbarkeit gewährleistet, dass wir in Niederbayern genauso das Abendmahl einnehmen können wie in Rio de Janeiro. Wir können darauf vertrauen, dass das Ritual im Wesentlichen das gleiche ist. Das gibt uns Sicherheit und Vertrauen. Was noch hinzu kommt, ist, dass die religiösen Riten großer Religionen durch ein Jahrtausende altes Kraftfeld, das immer wieder genährt wird, aufgeladen sind. Die Aufladung geschieht, weil die Regeln überall die gleichen sind, wo die Religion praktiziert wird. Dieses Feld trägt und birgt in sich eine Verknüpfung, die in der Überlieferung des Christentums bis unmittelbar in die Zeit von Christus Leben, Tod und Wiederauferstehung reicht. Das gleiche gilt auch für jüdische, hinduistische, buddhistische Riten oder islamische. Sie verweisen auf eine Verbindung zu den Religionsstiftern, die zeitlos ist. Gerade deshalb sollten wir nicht schlampig mit Ritualen umgehen oder sie zu bloßem Formalismus verkommen lassen. Die Weltreligionen bieten, jede für sich, ein Kraftfeld, das weit größer ist, als das, was wir in einem Einzelritual für uns und die Familie herstellen können. Es bedarf der korrekten Geisteshaltung, der inneren Einstimmung und der Verknüpfung mit dem Sinn der Symbole und symbolischen Handlungen im Ritual, damit ein religiöses Ritual wirkt. So steht im Abendmahl nicht mehr und nicht weniger als die Verschmelzung mit dem Göttlichen, die Hingabe an Gott im Vordergrund. Wenn wir das begreifen und uns auf das Ritual einlassen, wird es große Kraft haben, heilen und reinigen. Das gleiche gilt für die Rituale aller Traditionen. Voraussetzung ist jedoch, dass wir sie verstehen und uns darauf einlassen. Das setzt das Verständnis der Symbolik eines rituellen Ablaufs selbstverständlich voraus.
Es sind zum einen unsere geistige Haltung, unsere innere Einstellung zum anderen die würdevolle Durchführung des Rituals von Seiten des Eingeweihten, der Priester ist, die seine Wirkung schaffen sowie der sakrale Ort, der dabei unterstützt.
Rituale als Brücke zum Weisheitsgeist
In der Tradition des tibetischen Buddhismus werden Einweihungen in bestimmte spirituelle Praktiken gegeben von einem Lehrer, der seine Übertragungslinie ausdrückt und das Ritual in der vorgeschrieben Weise durchführt. Zentral ist dabei, dass er mit dem geistigen Inhalt ganz und gar verschmilzt, ihn verkörpert und damit als Brücke dient zum Weisheitsgeist, der auf die TeilnehmerInnen übertragen wird. Sie werden, wenn sie innerlich eingestimmt sind, diese Brücke annehmen und sich ganz einlassen auf den Prozess, dann die Segnungen dieses Weisheitsgeistes erhalten. Das reinigt den Geist, öffnet das Herz, gibt die Kraft zu einem mitfühlenden Leben
Gefahr von Missbrauch
Wenn ein Ritual große Kraft entfalten kann, dann kann es auch missbraucht werden. Das haben wir im Nationalsozialismus in Deutschland bitter erfahren müssen. Die Rituale der Nazis waren perfekt inszeniert, die Symbole, die Handlungen auf ein Ziel ausgerichtet. Statt des Brückenschlags in den transzendenten Raum gab es die Brücke zum Führer, einem weltlichen Herrscher, dessen Machtapparat genährt wurde. Die einzelnen Volksmitglieder haben ihre persönliche Verantwortlichkeit und Kraft abgegeben an den Führer und seine Apparatschiks. Der Einzelne durfte das großartige Gefühl der Entgrenzung erfahren, doch die Sehnsucht nach der Verschmelzung mit dem Göttlichen wurde zur Falle. Der Führer war keine Verkörperung des Transzendenten, er war ein Machthaber mit weltlichem Interessen. Das Ziel der Elite war die hemmungslose Bereicherung und die Entladung der Großmachtgelüste im Krieg, dazu brauchte man die Unterordnung der Deutschen, die ideologisch verblendet, in den großen Ritualen alles gaben, sich hingaben. Das Ziel der Hingabe war es nicht wert. Das Kraftfeld, genährt von Millionen Verblendeter, diente skrupellosen Machthabern. Mit Recht sind wir in Deutschland vorsichtig geworden im Umgang mit Ritualen. Hat doch deren verrohter Missbrauch zu einem Weltkrieg mit Millionen von Menschenopfern geführt.
Achtsam sein mit Energien
Im Ritual entsteht ein Energiefeld, das große Kraft haben kann. Mit diesen Kräften ist nicht zu spaßen. Die Energien müssen gelenkt und sinnvoll genutzt werden, selbst im kleinsten persönlichen Ritual, das der Bewältigung von Trauer dient. Es bedarf der Achtsamkeit und verantwortlichen Handelns bei der Gestaltung von Riten. Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei der ernstgemeinte Brückenschlag in den transzendenten Raum oder ins Göttliche. Nur hier gibt es das Aufgehobensein, führt Hingabe in die geistige Freiheit. In den schwarzmagischen Varianten verwandelt sie sich in ihr Gegenteil in die Knechtschaft. Die Unfreiheit steigert sich bis ins Unerträgliche. Deshalb Vorsicht vor falschen Gurus, Herrschern, die Rituale für ihren persönlichen Machtzuwachs einsetzen.
Schlecht geplante, unachtsam durchgeführte Rituale müssen nicht immer schwarzmagisch sein, sie erreichen jedoch nicht ihren Zweck und hinterlassen, beispielsweise nach der Trauerfeier, Hinterbliebene ohne Trost. Das Gefühl des Ausgeliefertseins steigert sich. Dies kann allerdings manchmal auch daran liegen, dass einzelne sich bei einem guten Ritual nicht persönlich eingestimmt haben, sich nicht eingelassen haben oder der Ritualleiter nicht eins ist mit dem Prozess.
Ein gutes Ritual bedenkt, wer kommt, orientiert sich an den Bedürfnissen und Interessen derer, die teilnehmen, holt den einzelnen dort ab, wo er steht, und stülpt ihm nichts über. Daher ist es auch wichtig, den Ritus auf die Zielgruppe zuzuschneiden.
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Eine Antwort
[…] Uller Gscheidel erläutert, dass Rituale eine Gemeinschaft schaffen und Übergänge erleichtern. Aus der Sicht des Bestatters schreibt er, worauf man unbedingt achten sollte. In unserem Menu finden Sie unter der Rubrik Rituale weitere Artikel zur Gestaltung einer Trauerfeier ebenso wie einen Überblickstext zum Thema Riten des Übergangs. […]