Riten des Übergangs

Zwölf Aspekte für die Gestaltung von Ritualen in der Sterbebegleitung

9. Der Tod führt in die Todlosigkeit

So verlernen wir es, Abschied zu nehmen und berauben uns der Möglichkeit der Begegnung mit dem großen Mysterium des Todes. Damit wächst die Angst vor dem Sterben und wir fördern die allgemeine Verdrängungs-Unkultur. Wir sollten wieder eine Kultur des Abschiednehmens kreieren, denn dadurch wird das Leben reicher und wir wachsen in die Tiefe. Vor allem, wenn wir begreifen, dass der Tod sich ereignet und zugleich nicht stattfindet. Die große Chance liegt im Erfahren der Unsterblichkeit, die sich im Sterben offenbart. Doch dazu müssen wir bereit sein hinzugehen, hinzusehen. Wer das Sterben ausgrenzt, an den Rand der eigenen Wahrnehmung schiebt oder in eine unbedeutende Ecke der Gesellschaft verdrängt, beraubt sich des spirituellen Wachstums.

Schon in den antiken Gesellschaften, z.B. in Griechenland oder Ägypten galten die als gereift und weise, die sich der rituellen Unterweisung in das, was das Sterben im Leben ist, stellten. Die Mysterien von Eleusis beinhalteten Einweihungsrituale, in der Lebende in den Tod schauten, um dadurch die Chance,weise zu werden, zu erlangen. Die Einweihungen waren einer Elite zugänglich. Das Ziel war es, sich der Vergänglichkeit zu stellen und in den inneren, weiten Raum zu blicken. Wer das tun konnte, hatte gelernt mit seinen Ängsten umzugehen und damit alle Voraussetzungen für ein glückliches und zufriedenes Leben.

Wir starren zu sehr auf das Materielle und suchen das Glück, indem wir meinen, es liege in der Erfüllung unserer Begierden, unserer Wünsche. Die vollkommene Freiheit liegt jedoch in der Wunschlosigkeit und in der Verschmelzung mit unserer innersten Natur. Das erfahren wir, wenn wir in die Todlosigkeit schauen. Dies ist möglich, wenn der Tod sich ereignet. Es klingt absurd. Wir wissen jedoch im Leben, dass uns die Erfahrung von Frieden lehrt, was Unfrieden ist, das Hässliche offenbar wird, wenn das Schöne sich zeigt. Die Gegensätze erhellen einander. Die Gegensätze lösen einander auf und geben den Raum frei, der dahinter liegt. Ein Ritus am Sterbebett will diesen unsterblichen Raum berühren, spürbar, erfahrbar machen, damit auch unsere „Seele Flügel bekommt“.

Wir sollten den Abschied am Sterbebett, dort, wo es möglich ist, wieder beleben, den Mut haben, ihn zu zelebrieren. Wir können alte Riten wieder aufgreifen und mit neuem Leben füllen, den Abschied feinfühlig und liebevoll so gestalten, dass er auf den zugeschnitten ist, der geht und auf die, die ihn loslassen müssen. Wir können Theologen rufen, dort wo sie gewünscht werden, aber auch uns selbst daran wagen, Abschiedsrituale zu gestalten, wo es angebracht ist. Spiritualität und Religion sind heute nicht mehr eins. Spiritualität erfahren wir sehr persönlich. Das erfordert ein Umdenken, den Mut, neue Rituale zu gestalten und von den religiösen Traditionen zu lernen.

Lisa Freund
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Eine Antwort

  1. 1. November 2016

    […] Uller Gscheidel erläutert, dass Rituale eine Gemeinschaft schaffen und Übergänge erleichtern. Aus der Sicht des Bestatters schreibt er, worauf man unbedingt achten sollte. In unserem Menu finden Sie  unter der Rubrik Rituale weitere Artikel zur Gestaltung einer Trauerfeier ebenso wie einen Überblickstext zum Thema Riten des Übergangs. […]

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