Friedrich Schiller: An die Freude

Johann Christoph Friedrich Schiller, vom Sternzeichen ein Skorpion, lebte von 1759 bis 1805. Er ist neben Goethe einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. Die Ode an die Freude, schrieb er 1785 im Vorfeld der Französischen Revolution, als die Hoffnungen auf die Verwirklichung demokratischer Freiheiten die Freigeister in Europa ergriff. Sie ist heute unsere Europahymne.

Freude ist für Schiller der Ausdruck des Elysiums, in dem alle Menschen Brüder werden. Das Elysium liegt überm Sternenzelt, droben im Reich der Götter oder des einen Gottes. Es ist ein euphorischer Text, vertont von Beethoven, der dieser himmlischen Freude eine Klanggestalt gibt. Jeder kennt diese Hymne, dennoch haben wir eine Vertonung in einem Link zu You Tube mit dabei, in der auch der Text gezeigt wird. Also, Sie haben die Wahl…

 

Friedrich Schiller

An die Freude.

 

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Chor.

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!
Ja – wer auch nur eine Seele
Seinnennt auf dem Erdenrund!
Und wer’s nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund.

Chor.

Was den großen Ring bewohnet,
Huldige der Sympathie!
Zu den Sternen leitet sie,
Wo der Unbekannte thronet.
Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur;
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod;
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub[1] Cherub: (aus dem Hebraischen): übernatürliche Mischwesen mit Tierleib und menschlichem Antlitz, in der Bibel: Cherubim sind Engel mit hohem Rang steht vor Gott.

Chor.

Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest du den Schöpfer, Welt?
Such‘ ihn überm Sternenzelt!
Über Sternen muß er wohnen.
Freude heißt die starke Feder
In der ewigen Natur.
Freude, Freude treibt die Räder
In der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie in den Räumen,
Die des Sehers Rohr nicht kennt.

Chor.

Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmel prächt’gen Plan,
Wandelt, Brüder, eure Bahn,
Freudig, wie ein Held zu Siegen.
Aus der Wahrheit Feuerspiegel
Lächelt sie den Forscher an.
Zu der Tugend steilem Hügel
Leitet sie des Dulders Bahn.
Auf des Glaubens Sonnenberge
Sieht man ihre Fahnen wehn,
Durch den Riß gesprengter Särge
Sie im Chor der Engel stehn.

Chor.

Duldet muthig, Millionen!
Duldet für die beßre Welt!
Droben überm Sternenzelt
Wird ein großer Gott belohnen.
Göttern kann man nicht vergelten;
Schön ist’s, ihnen gleich zu sein.
Gram und Armuth soll sich melden,
Mit den Frohen sich erfreun.
Groll und Rache sei vergessen,
Unserm Todfeind sei verziehn.
Keine Thräne soll ihn pressen,
Keine Reue nage ihn

Chor.

Unser Schuldbuch sei vernichtet!
Ausgesöhnt die ganze Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
Richtet Gott, wie wir gerichtet.
Freude sprudelt in Pokalen,
In der Traube goldnem Blut
Trinken Sanftmuth Kannibalen,
Die Verzweiflung Heldenmuth – –
Brüder, fliegt von euren Sitzen,
Wenn der volle Römer kreist,
Laßt den Schaum zum Himmel spritzen:
Dieses Glas dem guten Geist!

Chor.

Den der Sterne Wirbel loben,
Den des Seraphs [2]Seraph oder Seraphin: (aus dem Hebräischen): die Brennenden; von Gott geschaffene sechsflügelige Engel in menschenähnlicher Gestalt (mit Gesicht, Händen und Füßen), die Gottes Thron hüten. Hymne preist,
Dieses Glas dem guten Geist
Überm Sternenzelt dort oben!
Festen Muth in schwerem Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen, –
Brüder, gält‘ es Gut und Blut –
Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!

Chor.

Schließt den heil’gen Zirkel dichter,
Schwört bei diesem goldnen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein,
Schwört es bei dem Sternenrichter!

 

Quelle: Friedrich Schiller, Sämmtliche Werke, 1. Band, Stuttgart 1879, S. 36-38

Worterklärungen hinzugefügt von elysium.digital.

 

Europahymne

 

 

Lisa Freund
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